Raus aus der Müllfalle

Plogger sind die Goldschürfer von morgen.

Sind dir auch in der letzten Zeit vermehrt verrückte Jogger aufgefallen, die aus der Ferne aussahen wie schräge Vögel beim Aufpicken von Körnern? Erst aus der Nähe kann man erkennen, dass ihr ständiges Bücken dazu dient, Abfälle auf ihrem Weg aufzulesen, wodurch sie ihre Laufstrecke sauberer hinterlassen, als sie sie vorgefunden haben. Doch warum tun diese Menschen das, anstatt sich auf das übliche Ziel zu konzentrieren, den persönlichen Streckenrekord zu überbieten? Nun, man könnte zunächst davon ausgehen, dass diese neue Sportart, die 2016 in Schweden entstanden ist und seitdem die Welt erobert, einfach eine weitere Fitnesswelle ist, bei der nicht nur die Laufmuskulatur trainiert werden soll, sondern zusätzlich durch Kniebeugen und Strecken noch weitere Körperzonen stimuliert werden. Und in der Tat wird man beim Ploggen nicht nur nach wenigen Kilometern deutlich schneller die Anstrengung spüren als beim konstanten Laufen, sondern an den Folgetagen wahrscheinlich auch Schmerzen in Muskelbereichen haben, von deren Existenz man zuvor wenig wusste.

Erik Ahlström, der Begründer der Bewegung, hatte allerdings eine andere Intention als nur eine neue Sportmodewelle ins Leben rufen zu wollen. Er wollte das Bewusstsein dafür stärken, das Abfall nicht achtlos in die Umwelt gehört und diese über Jahre verschmutzt. Das wollte er jedoch nicht mit dem üblichen erhobenen Zeigefinger tun, sondern durch die Einbindung in eine Freizeitaktivität. Denn während jährlich laut der Weltgesundheitsorganisation WHO rund 5,6 Milliarden Zigaretten geraucht werden, bilden allein die weggeworfenen Kippen einen Berg von 750.000 Tonnen – und die häufig achtlos weggeschnipsten Filter benötigen mindestens 10 bis 15 Jahre, um in der Umwelt zu verrotten. Von Tüten, Dosen und anderen Dingen mal ganz abgesehen, die man beim Ploggen finden kann.

Spätestens seit klar ist, dass durch die achtlose Entsorgung von Abfall, wenn wir so weitermachen wie bisher, bis 2050 mehr Plastik in unseren Ozeanen schwimmen wird als Fische[1], sollten wir verstehen, dass das Mikroplastik unserer Zivilisation demnächst wieder in unserem Fleur de Sel oder im Fischfilet auf unseren Tellern landet. Glücklicherweise entsteht gerade eine Vielzahl an Initiativen, die dies verhindern wollen – vom Verbot von Strohhalmen bis zur Vermeidung von Plastiktüten. Auch das Plogging ist ein wichtiges Puzzleteil, damit der nächste Regen die Achtlosigkeit einiger unserer Mitmenschen nicht in die Zukunft der nächsten Generation hinüberspült. Allerdings sollten diese Aktionen nur begleitende Maßnahmen in einer Entwicklung sein, die grundsätzlich unser Verständnis von Wirtschaftsprozessen neu definiert. Denn nicht die Plastiktüte ist das eigentliche Problem, sondern das, was wir darin nach Hause tragen.

Deutschland liegt mit 627 Kilogramm kommunalem Abfall pro Kopf auf einem der vordersten Plätze in der EU.

Über 80 Prozent hiervon werden zwar laut Bundesamt „stofflich oder energetisch verwertet“, allerdings ein Großteil davon nicht sehr werterhaltend. So endet Plastik auch bei uns nach häufig nur kurzer Nutzung immer noch mit 70-prozentiger Wahrscheinlichkeit im Feuer. Dies ist das Ergebnis unseres bisherigen archaischen Wirtschaftsverständnisses, das einem linearen Denken entspricht: Wir nehmen einen Rohstoff, wandeln ihn in ein Produkt und verkaufen ihn bestmöglich – alles danach interessiert uns bisher nicht. Am deutlichsten ist diese Absurdität zu erkennen, wenn man in Wikipedia die Definition von Müll nachschlägt: Unter „Müll versteht man Reste, die bei der Zubereitung oder Herstellung von etwas entstehen“.

Demgegenüber macht uns die Natur vor, wie es richtig geht – und zwar nicht nur beim Mikroplastik: Alles geschieht dort in Kreisläufen, in denen die Überbleibsel eines Prozesses als Rohstoff im nächsten Prozess genutzt werden. Während in unserer Kindheit sämtlicher Müll in eine Tonne geworfen wurde, haben wir inzwischen erfreulicherweise begonnen, unsere Abfälle zu trennen. Allerdings wird Recycling erst dann wirklich flächendeckend umgesetzt werden, wenn es wirtschaftlich sinnvoller wird, Abfälle als Rohstoffe zu sehen und sie in neue Produkte zu konvertieren, anstatt sie ins Feuer zu werfen oder unkontrolliert in Drittländer zu exportieren. Und hier liegt unsere Verantwortung als Verbraucher: Wenn wir uns beim Kauf für Produkte entscheiden, die recycelte Materialien einsetzen, belohnen wir diejenigen Pioniere, die sich bereits auf diesen zunächst mühevollen Weg gemacht haben. Dies geht noch nicht überall im Alltag, allerdings ist beispielsweise die Bekleidungsindustrie eine derjenigen, die mit diesem Umbauprozess zumindest zaghaft begonnen hat und hier eine Pionierrolle einnehmen kann. 100.000.000.000 Kleidungstücke werden jedes Jahr weltweit hergestellt. Etwa zwei Drittel hiervon sind synthetische Stoffe – der Großteil davon Polyester. Unabhängig von ungesunden Trends wie Fast Fashion werden wir auch in der Zukunft immer Bekleidung benötigen. Allerdings ist es längst möglich, Polyesterbekleidung ohne Qualitätseinschränkung aus recycelten Kunststoffen herzustellen. Dennoch werden 97 Prozent unserer Bekleidung aus neuen Rohmaterialien produziert. Gleichzeitig entsorgen wir in der EU jährlich circa 26 Millionen Tonnen Kunststoffabfall, den wir bis Ende 2017 zu 87 Prozent nach China exportiert haben.

Zum Anfang 2018 hat China seine Häfen für unseren Abfall geschlossen. Wir sollten diese Gelegenheit nutzen, um den Kreislauf zu schließen und Kunststoff nicht grundsätzlich verdammen, sondern ihn als zirkulären Rohstoff werthaltig immer wieder verwenden. Sympatex hat sich mit mehreren Marken gemeinsam an die Spitze einer Bewegung gestellt, die den zügigen Umbau in eine zirkuläre Bekleidungsindustrie betreibt, und inzwischen sogar erfolgreich gezeigt, dass selbst wasserdichte, atmungsaktive Outdoorbekleidung so designt werden kann, dass sie erneut dem Kreislauf zugeführt werden kann. Wenn du das nächste Mal planst, dich für deine Bergtour oder dein Plogging auszustatten, solltest du überlegen, ob du dich nicht der Bewegung anschließen willst. #IIYH: It’s in Your Hands.

Text: Rüdiger Fox

[1] Ellen McArthur Foundation / WEF