Sag niemals nie

Ein reiner Glücksfall führt Nina zum Klettern nach Kroatien, wo eine Woche am Fels ihren BlickwiNkel verändert.

„Herzlichen Glückwunsch! Du gewinnst unsere Reise nach Kroatien! Jetzt werden wahrscheinlich erst mal 1.000 Fragen bei dir aufkommen … kein Problem.“ Oh doch, für meinen Kopf ist diese Nachricht ein Problem. Fassungslos starre ich auf den Bildschirm. Die Worte wecken in mir Zweifel, Angst und Ungewissheit. Es gibt keine Konstante, die Sicherheit verspricht – ich klammere mich fest an die Aussage: „Ich muss erst mal darüber schlafen.“ Mehr als eine Nacht und 21 Chat-Mails später steht meine Entscheidung, ich werde mich dem Abenteuer Kroatien stellen.

Jetzt haben mich meine eigenen Zweifel noch fester im Griff. Fünf Tage später fahre ich – allein – mit dem Zug zum Flughafen nach Hamburg, stelle mich – allein – in die Schlange der Gepäckaufgabe. Ab diesem Zeitpunkt gehöre ich zur Gruppe der Passagiere. Das gibt mir ein Gefühl des Durchatmens. Eine Flugstunde später geht es erneut durch die Passkontrolle zum Gepäckband. Hier stehe ich – allein – mit dem mich dominierenden Gedanken: „Was passiert, wenn mich niemand abholt?“ Ich kämpfe mit den Tränen. Bis sich mein Koffer langsam auf dem Gepäckband ins Blickfeld schiebt, das läuft wenigstens schon mal nach Plan. Es geht durch die Schiebetür hinaus in die wartende Menschenmasse. Auf der rechten Seite beginnend scanne ich die mir starr entgegenblickenden Gesichter ab. Weiter links springt mir ein Lächeln entgegen. Erst in diesem Moment bin ich bereit für „Herzlichen Glückwunsch! Du gewinnst unsere Reise nach Kroatien …“

Das Lächeln gehört Matthis, dem Gesicht von TIMA-Travels. Direkt am Flughafen in Pula lerne ich noch Kirill und Nadine kennen. Mit dem Neunsitzer geht es Richtung Heki/Lovrin zu unserer Villa. Die Gespräche während der Fahrt lassen mich entspannen und geben mir Sicherheit. Wieso eigentlich? Ist der erste Eindruck entscheidend? Auch die beleuchtete Villa in der Dunkelheit bezaubert mit ihrem ersten Eindruck. An dem Abend lerne ich noch meine Zimmermitbewohnerin Kirsten sowie den Rest vom TIMA-Team, Inda, kennen. In dieser Nacht schlafe ich erstaunlich gut. Der erste Tag beginnt mit einem Milchkaffee in der Sonne auf der Steinmauer am Pool. Ich genieße die Sonne, die Villa und ihre Umgebung. In diesem Moment kaum vorstellbar, dass ich es ernsthaft in Erwägung gezogen habe, dieses Abenteuer abzulehnen. Frühstücken, Lagebesprechung, Klettersachen sortieren und ab ins Auto.

Voller Vorfreude auf den Fels fahren wir ins Klettergebiet Raspadalica.

 

Der lange Felsgürtel ragt vor uns in die Höhe. Beeindruckend, ebenso wie die Landschaft. Ich spüre den Drang, möglichst schnell meine Finger an den Felsen zu bekommen. Wir alle sind heiß auf die erste Route und bilden Kletterteams. Begleitet von Diskussionen darüber, wer die Route vorsteigt und das Seil einhängt. Jeder glaubt, es tun zu wollen, doch auch dem anderen den Vortritt zu überlassen, ist denkbar. Dann endlich die ersten Schritte am Felsen. Ungewohnt. Das Sicherheitsgefühl, das in der Kletterhalle vorhanden ist, fehlt. Die anfäng-lichen Züge sind noch holprig. Meine erste -Route beende ich nach dem Klippen der dritten Exe. Ich fühle mich unsicher. Der Felsen ist warm und weniger griffig als erwartet.

Mein innerer Antrieb, direkt vorsteigen zu wollen, trifft auf mein persönliches Sicherheitsbedürfnis. Gefragt, getan, hängt Kirill uns einige Routen ein. Meine ersten kompletten Routen in Kroatien klettere ich im Toprope. Ich konzentriere mich auf den Felsen und die Ecken, Kanten, Griffe und Tritte, die er mir bietet. Ich genieße es, ich selbst zu sein, mein Kletterkönnen einzuschätzen und zu wissen, dass ich davon profitiere, dass andere schwierigere Routen klettern, als ich mir zutraue.

Das Motto dieser Woche wird gelebt: Alles kann, nichts muss! Eine Route im Toprope zu klettern und diese Erfahrung mit in das Vorsteigen der Route zu nehmen, versetzt mich an diesem Tag in einen Flow. Ich bin im Vorstieg unterwegs, klettere und klippe die ersten fünf Exen zügig. Je weiter ich hochsteige, desto weniger Griffmöglichkeiten gibt mir der Felsen. An dieser Stelle ist er glatt. Ein Pflanzenbüschel wächst aus dem Stein, an dem ich vorbei möchte. Ich taste mich langsam vor, entscheide links daran vorbeizuklettern. Ich greife um, wechsle meinen Fuß und es passiert. Ich rutsche ab. Die letzte Exe, die ich geklippt habe, ist ein gutes Stück überklettert und auch die Ideallinie habe ich verlassen. Ich falle ein extrem langes Stück nach unten, pendle zum Felsen herüber und lande mit meinem Becken an der Wand. Alles in Sekundenbruchteilen. Mein Sicherer hat gut reagiert. Schockmoment.

Mein erster „richtiger“ Sturz am Felsen.

Gefüllt mit Adrenalin blicke ich nach unten und frage, ob ich weiterklettern kann. Ich schaue in ebenso erschrockene Gesichter. Es kommt die Frage, ob es mir gut gehe. In diesem Moment ist mir nicht bewusst, dass ich sehr glücklich auf den Exen am Gurt gelandet bin, die als Puffer zwischen Beckenknochen und Felsen zum Einsatz kamen. Ich klettere diese Route bis zum Top. Erst hinterher erfahre ich, dass die anderen meinen Sturz mitgefühlt haben und bereits schlimme Befürchtungen hatten. Ein Flow beim Klettern ermöglicht auch Kopfmenschen wie mir ein scheinbar volles Vertrauen in den Kletterpartner und das Material. Mit dem Genuss der tiefstehenden Sonne und dem herrlichen Blick übers Land endet der Klettertag. Zurück in der Villa springe ich in den recht kühlen Pool – herrlich.

Am nächsten Tag wartet das Gebiet Moscenicka Draga auf uns. Der Zustieg dauert gefühlt ewig, die Sonne scheint aus voller Kraft. Es sind 20 Minuten, die dafür sorgen, dass mir hin und wieder die Luft ausgeht und ich eine Pause mache. Oben angekommen, hätte ein Wechselshirt Sinn gehabt. Der Lohn ist ein beeindruckendes Klettergebiet und der Ausblick auf die kleinen Inseln vor Kroatien – Cres und Krk. Der Felsen wirkt angenehm griffig und fordert zum Klettern auf. Kirill und Matthis, die dieses Klettergebiet kennen, übernehmen das Finden der Routen als menschliches Topo und sprechen Empfehlungen aus. Mich fasziniert von Beginn an die Route „No Money, No Honey (6a)“. Das Klettern entlang der Höhlenkante wirkt reizvoll. Da ich bisher noch keine Route in diesem Schwierigkeitsgrad am Felsen vorgestiegen bin, klettere ich sie im Toprope. Das untere Stück ist für mich machbar, doch die Schlüsselstelle fordert mich heraus. Ich versuche es wieder und wieder. Mir gelingt es, die nächste Kante mit den Fingerspitzen zu erreichen. Sie ist scharf, meine Finger zu kurz. Gefüllt mit Stolz, dass ich es überhaupt so weit geschafft habe, gebe ich mich dieser Route geschlagen.

Der Tag plätschert angenehm dahin, die Hänge-matte ist gespannt und das Krafttanken mit dem Ausblick grandios. Dank der gezielten Auswahl des Klettergebietes an diesem Tag ist es uns gelungen, das vorhergesagte Gewitter am Gebirge abzuhängen und uns vom Sonnenlicht am Felsen rausschmeißen zu lassen. Da wir uns in der Selbstversorgerwoche befinden, nutzen wir die Heimfahrt zur Planung des Abendessens. Neun Erwachsene in einem Auto und die Challenge startet. Ziel ist der Supermarkt. Die Idee: Fünf Minuten Zeit für den kompletten Einkauf. So wird auch dieser Tagespunkt zu einem Highlight.

Bei gefühlt 20 Grad und Sonne verschlägt es uns an Klettertag drei zum Limski-Kanal. Der Felsen am Vortag war mehr meins. Ich empfinde diesen heute rutschiger und weniger griffig. Allerdings ist die Aussicht unbeschreiblich, einfach wow! Nicht nur Matthis und Kirill -fordern mich auf, beim Klettern meine Füße mitzunehmen, auch der heutige Fels fordert das ein. Am nächsten Tag ziehen wir weiter und genießen einen Rest Day auf der Insel Sveta Katarina direkt vor Rovinj. Vom Hafen in Rovinj geht es mit der Fähre rüber zu einem bezaubernden Ort. Hier klettere ich zum ers-ten Mal Deep Water Solo, also ohne Seil am Felsen direkt über dem Wasser, das als Bouldermatte fungiert. Auch hier will mein Kopf Sicherheit, also lasse ich mich erst einmal bewusst ins Wasser fallen. Gepackt von meinem Ehrgeiz möchte ich eine Route klettern, durchziehen bis zum Ausstieg.

Auf der einen Seite trägt mich mein Willen zu einem weiteren Versuch, auf der anderen Seite hat mein Kopf das Wissen, dass ich es bereits mehrfach probiert habe. Ich nehme diese Route noch ein letztes Mal in Angriff. Die ersten Kletterzüge laufen wie trainiert, doch dann kommt etwas Neues. Meinem Kopf gelingt es, mich zu verunsichern. Oben am Top stehen die anderen, auch Matthis und Kirill. Die beiden geben mir Tipps und damit gefühlte Sicherheit. Sie pushen mich das Felsstück hinauf. Jetzt fehlt noch die letzte Kante. Ich hänge an ihr und zweifle. Ich spüre, wie mir die Kraft ausgeht. Ich kann mich weder dazu entschließen loszulassen noch den letzten Kletterzug in Angriff zu nehmen.

Ich hänge noch immer an der Felskante. Die Jungs fragen, ob sie mir eine Hand reichen sollen. Mein Kopf denkt: „Ja bitte, aber schnell.” Doch es kommt nicht über meine Lippen.

Sekunden vergehen. Endlich hält mir Kirill seine Hand hin und zieht mich über die letzte Kante. Was für ein Gefühl, den Ausstieg erreicht zu haben. Das Gefühl trage ich auch noch an den beiden weiteren Klettertagen in Vela Draga und Rovinj in mir, bis die Reise endet. Erst zu Hause merke ich, wie die Woche in Kroatien meinen Blickwinkel verändert hat. Abenteuer erleben bedeutet zuerst, sich darauf einzulassen. Die geilste Woche meines Lebens hat meine Zweifel genommen und mir Sicherheit gegeben. Zum ersten Mal habe ich gespürt, was es heißt, erholt zu sein.

Text: Nina Neumann
Fotos: Nina Neumann, Matthis Green

Nina Neumann:
35 Jahre, Lehrerin, Erlebnispädagogin/Outdoortrainerin, seit vielen Jahren Hochseilgartentrainerin, hat durch das Erlebnispädagogik-Studium die Liebe zum Klettern entdeckt.

Kletterreisen nach Kroatien und in andere Länder:
www.tima-travels.de TIMA-travels

Wetterinformationen: www.hrvaska.net

Ninas Entspannungstipp:
Die Insel Sveta Katarina direkt vor Rovinj. Hier gibt es nur ein Hotel. Von zwei Orten am Hafen von Rovinj fährt eine Fähre direkt dort rüber. Deine Rückfahrkarte kaufst du an der Rezeption im Hotel auf der Insel. Vor Ort kannst du die Ruhe genießen und ausspannen, baden oder Deep Water Solo klettern. Der Picknickrucksack sollte auf jeden Fall mit!

Fünf aus meiner Sicht abwechslungsreiche Klettergebiete:

  • Raspadalica Klettergelände mit schöner Szenerie und Blick auf die Altstadt von Buzet. Von der Felskante heben auch Paraglider ab.
  • Moscenicka Draga Der Kletterspot liegt leicht erhöht und bietet einen tollen Ausblick über das Meer und die Insel Cres.
  • Limski-Kanal Eines der Topklettergebiete Kroatiens. Oberhalb eines Kanals erstrecken sich über 100 Routen im Kalkgestein.
  • Vela Draga Der Kletterspot hat ein markantes Aussehen mit freistehenden Felssäulen.
  • Rovinj Klettern direkt am Stadtpark. Gestufte Kletterei (Steinbruch) in den unteren bis mittleren Schwierigkeiten. Du kletterst, andere gehen mit ihrer Familie oder dem Hund spazieren, joggen oder fahren mit dem Rad vorbei.