Teufelsberg – Kletterabenteuer mitten in Berlin

Einst Abhörstation, heute Rückzugsort vor dem Trubel der Stadt. Im Berliner Bezirk Charlottenburg-Wilmersdorf erhebt sich auf dem Teufelsberg einer der ältesten künstlichen Boulder- und Kletterfelsen Deutschlands. Ein Freitagnachmittag-Abenteuer mit Ausblick auf die Metropole.

Mitten im Berliner Grunewald erhebt sich der Teufelsberg. Viele kennen ihn durch die alte Abhörstation der US-Armee, die nach der Wiedervereinigung aufgegeben wurde. Die weißen, maroden Kuppeln, die so gar nicht in das Landschaftsbild passen, weisen uns vom Parkplatz aus den Weg durch den „grünen Dschungel“. Hier, irgendwo zwischen Teufelsberg und dem anliegenden Drachenberg, soll er sein: Berlins ältester Kletterfelsen. Das naturgetreue Abbild eines Felsens aus Naturstein soll sogar auch in Bolivien zu finden sein.

Am Berliner Exemplar haben wir uns mit Nils Ubrig verabredet. Der 36-Jährige ist seit fünf Jahren begeisterter Kletterer und nutzt jede freie Minute, um seinem Lieblingssport nachzugehen. Bouldern beziehungsweise Klettern in der Hauptstadt: So wirklich möchte man das nicht glauben, denn die Millionenmetropole, deren höchste Erhebung nicht mehr als 115 Meter aufweist, ist zumindest in unseren Köpfen alles andere als ein El Dorado des Kletterns. Oftmals ist es aber eben anders, als man denkt.

Nach einigem Umherirren finden wir Nils, der mit seinem Kletterpartner und Arbeitskollegen Andreas Grätz schon in der Wand hängt. Einer sichert und der andere bewegt sich mit langsamen Bewegungen katzenhaft in der Senkrechten.

Angefangen hat alles vor etwa fünf Jahren, erklärt er uns. Sport sei schon immer Thema, Schwimmen, Laufen, was man eben so mache, wenn man in der Großstadt lebt. „Mich hat Bouldern anfangs fasziniert. Ich habe mich oft mit Freunden in Friedrichshain getroffen und wir haben es einfach ausprobiert. Außer ein paar ordentlichen Kletterschuhen, ein Chalkbag und eine kletterbare Fläche brauchst du eigentlich nichts. Ich wusste gar nicht, dass man mit so wenigen Mitteln schon das Adrenalin im Körper anschmeißen und sich auspowern kann.“ Bouldern wird allgemein als Klettern in Absprunghöhe ohne Sicherung bezeichnet. Was so einfach aussieht, ist allerdings nicht zu unterschätzen. Auch wenn man nicht tief fällt und das Verletzungsrisiko gering ist, müssen die Griffe und Tritte sitzen. Ein kleiner Fehler und man ist wieder auf dem Boden der Tatsachen und fängt neu an.

„Anders als beim Schwimmen oder Laufen ist man beim Bouldern oder Klettern total fokussiert auf das, was man tut. Da geht es auch ums Durchhalten und Zähne zusammenbeißen, aber irgendwie ist der Geist viel klarer. Man wird eins mit der Wand und agiert fast wie beim Schach. Einmal verstiegen, kommt man nicht mehr weiter. Man muss seine Route also planen und vordenken“, sagt er.

In Berlin gibt es fast in jedem Stadtteil eine Kletter- oder Boulderhalle, in der man den Sport ausprobieren kann. Einen Kletterschein als solches braucht es meist nicht und praktisch kann jeder in die Wand. Es ist aber ratsam, einen Kurs zu belegen, verrät uns Nils. „Sicherheit ist ein ganz wichtiges Thema. Beim Bouldern kann eigentlich nicht viel passieren. Sobald man aber höher hinaus will, ist das Sichern des Partners und das Wissen im Umgang mit den Aufstiegshilfen unverzichtbar.“ Während in der Hauptstadt die Kletterhallen wie Pilze aus dem Boden schießen, sind die Outdooranlagen eher spärlich. „Gerade das macht aber auch den Reiz aus. Es geht nicht nur ums Klettern an sich. Es ist auch die Verbindung zur Natur, einfach draußen sein und sich ein wenig von der Hektik der Stadt distanzieren. In den Kletterhallen werden die Griffe schon öfter mal umgeschraubt. Da gibt es dann immer wieder neue Routen zu entdecken. Das ist im Winter manchmal ganz nett. Hier draußen am Teufelsberg kenne ich mittlerweile fast alle Routen. Aber der Kletterfelsen ist aus Spritzbeton. Es gibt keine Griffe. Nur Risse und einzelne Vorsprünge, an denen man sich entweder nach oben oder seitlich bewegen kann. Das ist zwar ein anderes Feeling als Naturstein, kommt dem echten Erlebnis aber sehr nah.“

Über 60 Routen kann man am Kletterfelsen am Teufelsberg klettern. Von Schwierigkeitsstufe drei bis sieben geht dort fast alles. Damit ist der künstliche Felsen für Anfänger, aber auch für Fortgeschrittene geeignet. „In den Kletterhallen ist das mehr wie ein Get–together. Man trifft sich mit Freunden, bouldert oder klettert ein wenig und kann danach noch ein Bierchen trinken. Hier draußen gibt es aber keine Gastro. Hier sind nur der Fels, die grünen Bäume drumherum und die Stille. Fast so, als wäre man im Gebirge. Wenn man regelmäßig hierher kommt, dann kennt man nach einiger Zeit auch die Gesichter. Die Kletter-community ist eigentlich supernett. Jeder hilft jedem und wir haben hier keine „Hackordnung“. Da sind Anfänger genauso willkommen wie Profis. Ein Machosport ist das nicht. Kann man sich auch gar nicht leisten. Denn meistens steigen die mit der großen Klappe am schnellsten aus der Wand aus“, sagt Nils.

Der Berliner hat es sogar geschafft sein Hobby in den Beruf zu integrieren. Als Sozialarbeiter an einer Berliner Schule unterweist er zusammen mit seinem Kletterpartner und Arbeitskollegen Andreas die Kinder einmal pro Woche in speziellen Kursen im Klettern in der Wand. Dazu war ein Übungsleiterschein erforderlich und auch die Schule sieht den Vorteil. „Ich finde das super, wenn ich sehe, was das mit den Kindern macht“, sagt Nils. „Die ‚Vorlauten’ lernen ein wenig Demut. Am Anfang sind sie im Sprücheklopfen noch ganz vorn dabei. In der Wand sieht das dann ganz schnell anders aus. Bei den schüchternen Schülern ist es genau anders herum. Die wachsen meistens über sich hinaus und sind total stolz auf ihr Erfolgserlebnis. Pädagogisch gesehen kann das gar nicht besser laufen. Außerdem verbringen wir alle zusammen einen Tag in der Natur. Kann man sich gar nicht vorstellen, dass wir trotzdem immer noch mitten in Berlin sind.“

Privat ist Nils verheiratet und hat selbst zwei Kinder. Eigentlich würde er gern mehr Zeit mit dem Klettern verbringen. Aber dieser eine Tag in der Woche gehört ihm ganz allein. „Das Bouldern ist für mich ein gutes Training. Aber die Königsdisziplin ist das Klettern mit Gurt, Seil und natürlich Sicherungen. Auch wenn es hier nur knapp zehn Meter in die Höhe geht, anspruchsvoll ist es trotzdem. Man weiß, dass der Partner immer sichernd dabei ist, aber ein letzter Thrill bleibt. Und das supergute Gefühl, wenn man eine anspruchsvolle Route geklettert ist, ist einfach unbeschreiblich.“

Ungefährlich ist das Klettern auf dem künstlichen Felsen nicht. Auch hier gab es seit der Erbauung mehrere Unfälle und einige sogar mit Todesfolge.

Allesamt verursacht durch Unachtsamkeit und mangelnde Sicherung. „Ein gewisses Restrisiko bleibt halt immer bestehen. Dessen muss man sich bewusst sein. Deshalb ist es auch so wichtig, immer fokussiert zu sein. Jeden Tritt oder Griff genau zu überlegen und die Sicherungsprozedur mit dem Partner Schritt für Schritt durchzugehen. Und natürlich braucht es auch eine gesunde Selbsteinschätzung. Das ist hier am Teufelsberg nicht anders als im Hochgebirge“, gibt Nils zu bedenken.

„Free Solo? Nein. Das würde ich nicht machen.“ Als Free Solo bezeichnet man die Begehung einer Kletterroute im Alleingang unter Verzicht auf technische Hilfs- und Sicherungsmittel. „Das hat für mich nichts mehr mit Klettern zu tun. Das ist einfach nur Leichtsinn. Für mich ist es ,Kick‘ genug, wenn ich eine schwierige Route geklettert bin. Bei meinem Leistungsstand ist das auch noch ausbaubar. Da gibt es noch einiges, was selbst in Berlin noch zu bezwingen ist. Am meisten freue ich mich auf den nächsten Familienurlaub mit den Kindern. Die haben so langsam das Alter erreicht, wo ich sie mit in die Wand nehmen kann. Das wird bestimmt nicht nur für sie aufregend. Ich kann das Klettern oder Bouldern einfach nur jedem empfehlen. Es braucht kein großes Equipment, keine extremen körperlichen Voraussetzungen, es ist instinktiv erlernbar und man kann es fast überall ausprobieren. Einmal infiziert, lässt es dich so schnell nicht mehr los.“

Recht hat er mit dem, was er sagt. Nach einem langen Tag, als die Sonne am Teufelsberg langsam untergeht, verabschieden wir uns von Nils und seinem Partner Andreas. In unseren Köpfen sind auch wir angefixt von der Idee, vielleicht selbst mal in die Wand zu steigen. Nur mit Sicherung und entsprechender Vorkenntnis, versteht sich.

Infokasten:
Kletter- / Boulderwand „Teufelsberg“ (Baujahr 1970)
Größte Höhe: 9,80 Meter
Fläche: 250 Quadratmeter
Anzahl der Routen: über 60
Schwierigkeiten: III bis VII
Anfängertauglich: ja
Vorstieg möglich: ja
Oberfläche: Spritzbeton
Besonderheiten: Risse, Kamine, Reibungsklettern, Dach
Gastronomie: nein
Verleih: nein
Zuständigkeit: Deutscher Alpen Verein – Sektion Berlin
Zugang: öffentlich
Eintritt: frei

Das Klettern/Bouldern am Teufelsberg erfordert eine Mitgliedschaft beim DAV. Weitere Infos unter 
 www.dav-berlin.de/index.php/teufelsberg
 
 Text: Richard Fieseler

Fotos: www.sehnsucht-berlin.com