16 Stunden Auszeit

Seine Energie pulverisiert alle Ausreden.

Alastairs Humphreys‘ Mikroabenteuer sind so simpel, dass alles Lamentieren nichts hilft. RAUS! hat vom 39-jährigen Briten erfahren, was es heißt, mal eben auf einem Hügel im Freien zu schlafen. Durchlesen, Datum setzen, 16 alltägliche Stunden Freizeit nutzen!

Hallo Alastair. Ich will nicht wie eine Mutter klingen, aber … Wo hast du die letzte Nacht verbracht?
Ich habe in meinem eigenen Bett zu Hause geschlafen. Sehr angenehm, das Wetter ist schrecklich. Hier ziehen gerade einige Stürme durch. Es gibt durchaus ein paar Momente, in denen es ziemlich angenehm ist, im Haus zu sein.

An anderen normalen Arbeitstagen aber schließt du deine Augen draußen in der Natur…

Ich mag meine Computerarbeit und es ist wichtig, sie zu tun. Aber ich mag es auch, in der Natur zu sein. Ich genieße es, mir inzwischen regelmäßig diese kleinen Abenteuer zu nehmen, die ich in meinen Tag hineinquetsche. Statt mich darüber zu beschweren, dass ich keine Woche Zeit habe, versuche ich, in den verfügbaren Stunden Spaß zu haben. Manchmal ist es so simpel, dass ich um 17 Uhr meine Arbeit beende, mir meinen Schlafsack schnappe, aufs Rad springe und nach ein paar Kilometern auf einem Berg oder in einem Wald anhalte und die Nacht unter dem Sternenhimmel verbringe. Morgens fahre ich dann zurück, bin um neun wieder bei der Arbeit. Und es fühlt sich an, als hätte ich ein richtiges Abenteuer in der Wildnis erlebt. Mein Kopf ist klarer. Diese kleinen Abenteuer sind wichtiger für den Geist als für den Körper. Sie sind nicht gerade ermüdend, sie erfrischen. Regnet es, ist es besser, auf dem Sofa zu liegen und Fernsehen zu schauen. An allen anderen Tagen: rauf auf einen Hügel!

Was passiert, wenn du raus aus dem Alltag bist?
Wie die meisten anderen Menschen bin ich abhängig vom digitalen Leben. Ich mag das, aber wenn ich ins Mikroabenteuer gehe, schalte ich alles aus. Um Ruhe zu haben, nicht mehr zu reden, jedenfalls für eine kleine Weile. Draußen zu liegen und zum Himmel aufzuschauen rückt die Dinge in eine andere Perspektive. Deine Probleme sehen etwas anders aus, wenn du auf Millionen Sterne blickst oder das Rufen einer Eule hörst. Es geht darum, im hektischen Leben des 21. Jahrhunderts wieder etwas Einfachheit, Besonnenheit und Langsamkeit zu spüren.

Du bevorzugst einen Biwacksack gegenüber einem Zelt …
Definitiv. Gut, es gibt Zeiten, da sind Zelte die richtige Wahl. Längere Reisen, viel Regen. Für Mikroabenteuer ist ein Zelt zwar besser als nichts, aber es ist auch ein bisschen so, als wärst du drinnen. Wenn ich drinnen sein möchte, wähle ich lieber mein Zuhause mit einem richtigen Bett. Wenn ich dagegen im Biwacksack liege, kann ich den Himmel sehen, spüre den Wind auf meinem Gesicht, fühle mich viel mehr draußen. Das ist aufregender und anfangs auch ein bisschen angsteinflößender. Du bist all dem, was durch deinen Kopf geht, viel mehr ausgesetzt, Monster, Wölfe (lacht). Darüber hinaus ist es günstiger und einfacher zu transportieren und einzusetzen als ein Zelt. Du kannst dich damit besser verstecken, bist nicht so schnell auszumachen. Und dann ist es noch etwas verrückt. Manchmal mag ich es, mich ein wenig wieder wie ein Kind zu verhalten.

Du bist vier Jahre mit dem Fahrrad um die Welt gefahren, durch die Wüste gewandert, über den Atlantik gerudert. Was war der Antrieb für diese großen, längeren Abenteuer?
Als ich mit dieser Art Abenteuer anfing, wollte ich die Welt sehen, andere Länder und interessante Kulturen kennenlernen. Und ich wollte mich testen. Etwas physisch Anstrengendes musste es sein, bei dem ich mich selbst antreiben und eine Menge über mich selbst lernen konnte. Ich glaube heute auch, dass ich anderen beweisen wollte, dass ich faszinierende Dinge schaffen konnte. Wenn man älter wird und schon ein paar Sachen gemacht hat, wird dieser Aspekt weniger bedeutend und es geht mehr darum, sich selbst etwas zu beweisen.

Wie hat dich diese Zeit geprägt?
Ich habe mich selbst besser kennengelernt und mir sind gute und schlechte Eigenschaften meiner Persönlichkeit klarer geworden. Zudem hatte ich Zeit darüber nachzudenken, wer ich werden will. Und bekam einen gigantischen Blick auf die Menschen in der Welt. Ich kam mit dem positiven Gefühl nach Hause, wie gut und freundlich die Leute sind. Es ist nicht möglich, durch die Welt zu radeln und dann als Rassist zu leben oder andere Religionen zu hassen. Reisen ist eine wunderbare Sache, um aufgeschlossener durchs Leben zu gehen.

Warum, glaubst du, ist es wichtig, hin und wieder in ein Abenteuer zu starten?
Oh, da gibt es einige Gründe! Erstens: Es macht Spaß. Zweitens: Es erweitert deinen Horizont und bringt dir Orte, Umwelt, Kulturen und Menschen näher. Drittens: Abenteuer sind ein guter Weg, um sich selbst in schwierigen Situationen besser kennenzulernen. Schaffst du es, bist du stolz, selbstbewusster und willst den nächsten Schritt machen. Dann kommt plötzlich dein Leben in Fahrt, du hast mehr Energie. Ich glaube, Abenteuer helfen mir dabei, positiver aufs Leben zu schauen. Dabei bin ich eher ein kleiner Pessimist, beschwere mich gern über Dinge. Heute gehe ich optimistischer ran, wenn ich keine Zeit für lange Abenteuer habe. Und frage mich, was kann ich schaffen?

Und läufst dann an der M25 entlang. Was gab den Impuls für dein erstes Mikroabenteuer an der riesigen Autobahn, die in einem großen Bogen um London führt?
Die wenigsten von uns leben im Himalaja oder in Patagonien – wir müssen uns der Wildnis vor unserer Haustür widmen. Aber ich sollte die M25 zunächst vielleicht erklären. Menschen, die dicht daran wohnen, hassen sie, sie ist voller Verkehr, langweilig und einzig dazu da, dich zur Arbeit oder zu Terminen zu führen. Eigentlich kein Platz für Abenteuer. Ich habe mich bewusst für diesen hässlichen Ort entschieden, um herauszufinden, ob es dort etwas Herausforderndes gibt. Es ging zusammen mit einem Freund über 180 Kilometer durch den Januarschnee. Klar gab es Orte ohne Ästhetik. Aber es war genial! Wir liefen auf den angrenzenden Feldern, durch kleine Siedlungen und Dörfer. Wir fanden kleine wilde Bereiche, Waldflächen, die niemals jemand aufsucht, mit Hasen- und Fuchsspuren im Schnee. Keine Menschenseele. Wir waren an Orten, die uns unbekannt waren, und dann bist du ein … Entdecker. Wir trafen gute, interessante Menschen, so wie es einem am anderen Ende der Welt ergehen kann. Es ist wichtig, dass man sich klar macht, dass das auch vor der eigenen Haustür möglich ist. Es war körperlich anstrengend, wir mussten recht schnell gehen, im Schnee schlafen. Aber das mag ich ja. Es war meiner vierjährigen Radtour um die Welt sehr ähnlich. Und ist es nicht spannend, dass unsere Gefühle an der M25 denen unser beider weltweiten Abenteuer so glichen?

Du hast damit das Potenzial von Mikorabenteuern erkannt. Wie hat sich die Idee weiterentwickelt?
Nach der M25 hatte ich die Idee, Menschen für Abenteuer in der Nähe ihres Zuhauses zu ermutigen. Zunächst dachte, sie müssten herausfordernd, schwierig, episch sein. Eine Woche in den Bergen, dicht an Zuhause. Ich stellte fest, dass selbst das für die meisten Menschen unrealistisch ist. Ich vereinfachte die Mikroabenteuer. Die Herausforderung für mich lag dabei darin, den eigentlichen Abenteuergeist nicht zu verlieren. Die kompakteste Version heute ist: Beende deine Arbeit um 17 Uhr, geh auf einen Berg, übernachte dort und sei um neun Uhr zurück an deinem Schreibtisch. Das ist ein echtes Abenteuer und es passt dennoch in eine arbeitsreiche Woche.

In dieser Phase schautest du also nach einem Abenteuer für dich selbst, aber auch nach einer Lösung für andere, dir unbekannte Menschen?
Ja, genau! Anfangs ging es immer um mich, ich, der vier Jahre um die Welt radelt, ich, der über den Atlantik rudert und so weiter. Dann aber teilte ich in meinen Büchern und Blogs meine Erfahrungen mit anderen, wollte davon leben können. Und da ging es darum, andere zu ermutigen. Wenn ich dann von ganz normalen Leuten lese, die zum ersten Mal auf einem Berg im Freien übernachten, spornt das zusätzlich jene an, die bisher noch zögern. Es fühlt sich gut an, diese Entwicklung zu beobachten!

Kannst du ein paar Beispiele von Mikroabenteuern nennen, an die du dich gern erinnerst?
Klar! Es ist es ein großer Spaß, einen Fluss hinunterzuschwimmen. Schlafsack, zusätzliche Klamotten und etwas Luft in drei, vier Plastiktüten eingepackt und schon schwimmt das Päckchen. Mit einem Seil an dir befestigen und dann stromabwärts. Am Ufer kannst du campen, morgens gehts weiter. Ich bin nicht der große Schwimmer, also ist es etwas Neues und Unbekanntes für mich. Und da du die Nase auf Wasserhöhe hast, sieht die Welt etwas anders aus, wodurch du neu auf gewöhnliche Dinge blickst.
Zudem bin ich dabei sehr langsam unterwegs, okay, ich bin jetzt nicht so gut darin, aber ich bin ewig unterwegs und schaffe gerade mal ein paar Kilometer. Das hat mich gelehrt, dass es nicht die Distanzen sind, die etwas zu einem Abenteuer machen. Einmal kaufte ich vier Schläuche von Traktorreifen für 60 Euro, günstiger und besser als jedes Kanu. Ab ins Wasser, zusammen mit drei Freunden, an einem schönen Sommertag. Ein Lagerfeuer am Flussufer, etwas zu Essen darauf zubereitet, zurück am nächsten Morgen. Ich garantiere dir, du wirst über Jahre mit deinen Freunden davon sprechen.

Die langsamste Form des Unterwegsseins – ist das die Antwort auf unsere geschäftige Smartphone-Gesellschaft?
Genau. Es spielt keine Rolle, ob du einen oder 50 Kilometer schaffst. Ich glaube, ich bin ein energiegeladener Mensch, vielleicht auch etwas hyperaktiv. Mich dazu zu zwingen, etwas auf die Bremse zu treten, tut gut. Ich suche mir Orte, an denen kein Mobilfunkempfang ist, um nicht in Versuchung zu geraten, meine Mails zu checken. Zu Fuß zu gehen bringt dich ebenfalls runter. Und auch dabei brauchst du kein Equipment. Wohnst du auf dem Land oder in einem Dorf, kannst du auf einer Karte einen Kreis mit einem Radius von drei Kilometern um dein Haus ziehen, von der Haustür zum Kreis laufen, ihm folgen und am Ende wieder drei Kilometer zurück nach Hause gehen. Das sind rund 20 Kilometer, also eine ordentliche Strecke, aber du bist dabei nie weit weg von deinem Haus. Auf diesem Kreis wirst du mit Sicherheit Dingen begegnen, die du noch nie gesehen hast. Dann bist du ein Entdecker. Zudem kannst du in deinem Biwacksack übernachten und wenn es kräftig zu regnen anfangen sollte, hast du es nicht weit bis zu deinem richtigen Bett.

Als du dich einmal auf einem Fluss von der Quelle zur Mündung treiben ließt, stelltest du am Ende fest, dass du nicht auf dem geplanten Gewässer unterwegs warst …
(lacht) Ich versuchte, der Welt zu zeigen, hier bin ich, der professionelle Abenteurer. Und dann das. Ich lief morgens die Hügel hinauf, um die Quelle zu finden, paddelte dann runter und war etwas verwirrt, als ich dem Meer näher kam. Als ich dann feststellte, dass ich komplett woanders rausgekommen war, konnte ich nicht mehr vor Lachen über meine eigene Dummheit. Auch wenn es etwas peinlich ist, was meine Fähigkeiten betrifft, aber die Situation hat eines bewiesen: Es spielt keine Rolle, wo du unterwegs bist, Hauptsache, du machst es.

Beschreibe dich doch mal in riskanten Momenten. Wie definierst du Risiken, die es lohnt einzugehen?
Das erste Risiko, das mich herausforderte, war die Möglichkeit zu scheitern. Ich erzählte nicht allen Leuten um mich, dass ich um die Welt radeln wollte. Ich hatte zunächst nicht das Gefühl, dass ich es schaffen würde, und wollte nicht dumm dastehen, wenn es schief ging. Dann gibt es riskante Momente in Abenteuern, wenn du dich an abgelegenen Orten stark pushst. Es ist dann so, wie sich bewusst zu entscheiden, das Risiko einer Straßenüberquerung einzugehen. Es ist ein Risiko, das sich lohnt. Ein wichtiger Aspekt eines Abenteuers, aber ich will auch nicht, dass es dabei zu glamourös klingt. Und dann begegnete ich einem weiteren Risiko. Zur Tradition eines Abenteurers gehört es, etwas Großes zu machen, darüber zu schreiben, etwas Geld zu verdienen, und danach wieder etwas Großes zu machen. Ich lief stattdessen an der M25. Schlafe auf Hügeln. Paddele die falschen Flüsse herunter. Und nenne mich dennoch einen Abenteurer. Das ist mein kreatives Risiko. Und ich denke, diese drei haben mir gezeigt, dass es lohnt, sie einzugehen, auch wenn sie bisweilen einschüchtern.

Was sind deine kleinen Helfer, wenn es darum geht, tatsächlich zu starten, statt nur drüber nachzudenken?
Das ist wirklich der schwierigste Teil jedes Abenteuers.

Nach einem norwegischen Sprichwort ist es der Türschwellen-Kilometer. Ich versuche daher die Touren so zu vereinfachen, dass es quasi keine Ausreden mehr geben kann.

Du kannst dann nicht mehr sagen, du hättest keine Zeit, kein Geld, kein Equipment. Dann schau auf dich und sage dir ehrlich: „Das war bisher erbärmlich, ich war ein Weichei. Ich setze mir jetzt ein Datum und mache es!“ Ich sage nicht, dass es einfach ist. Aber es ist möglich. Einmal an einem sonnigen Abend im Mai. Und wenn du dann mal auf einem Hügel übernachtet hast, merkst du, wie einfach es ist, und willst erneut los. Dann ist es ein Wochenende, eine Woche, ein Monat. Und plötzlich radelst du um die Welt.

Inwieweit spürst du, dass du andere inspirierst?
Abenteuer haben schon eine etwas egoistische Komponente. Du rettest nicht die Welt, du machst etwas, das für dich selbst gut ist. Der positive Einfluss, den meine Mikroabenteuer haben, fühlt sich daher schön an. Ich bekomme sehr aufrichtige, persönliche E-Mails von den unterschiedlichsten Menschen. Manche erzählen von ihren Konflikten und beschreiben, wie ihre Touren ihnen geholfen haben.

Würdest du deine kreative Seite wie Schreiben für Bücher und Blogs auch ohne deine Abenteuer haben?
Ich bin kein kreativer Mensch von Geburt an. Ich habe Biologie studiert. Aber ich habe immer schon gern gelesen. Und die Geschichten haben mich ermutigt, meine eigenen zu erleben und eines Tages meine eigenen Bücher zu schreiben. Als es dann zu meinem Beruf wurde, setzte ich mich mit Fotografie auseinander und schließlich mit dem Filmen von Videos.

Große und kleine Abenteuer – was ist der nächste große Schritt für dich?
Ich denke darüber nach, in urbane Mikroabenteuer zu starten, um die kulturelle Seite eines Ausflugs stärker zu betonen. Eines hat schon begonnen, ich esse mich nach dem Alphabet durch die Restaurants von London: A wie Afghanisch, B wie Bolivisch. Du reist durch die Welt und bleibst dabei in der gleichen Stadt. Ich bin bei V angekommen, nur O und Q habe ich bisher nicht gefunden … Aber ehrlich gesagt, weiß ich noch nicht, wo es hingeht. Ich mache Mikroabenteuer jetzt seit einigen Jahren. Ein Teil in mir sagt, bevor es die Leute langweilt, mach etwas Neues. Nächstes Projekt. Aber ich habe noch kein nächstes Projekt. Ein anderer Teil in mir sagt, Mikroabenteuer fangen gerade erst an. Es gibt noch so viele Menschen, die von der Idee noch nichts gehört haben. Und das will ich ändern. Ich will die erreichen, die vielleicht noch keinen Schlafsack und keine Gore-Tex-Jacke zu Hause haben.

Wohin führen dich deine nächsten Abenteuer?
Ein lang gehegter Traum ist es, auf eine Expedition zum Südpol aufzubrechen. Und das ein oder andere Mikroabenteuer in einem anderen Land in Europa. Ein riesiges Potenzial!