Küstenrad



Entlang der Ostseeküstenroute, vorbei an Strandbädern und abwechslungsreicher Landschaft, treffen wir mitten in Schleswig-Holstein auf Strauß und andere Exoten.

„Es geht los!“ leuchtet auf meinem Handy auf. Verschlafen taste ich nach dem piepsenden Ding, ein Blick durch die Vorhänge sagt mir, es hat recht. Nachdem wir tagelang auf Stand-by waren, spielt jetzt endlich das Wetter mit. Das Regenradar verspricht für die nächsten Tage Schönwetterradeln. Gepackt ist alles, die Bikes sind startklar. Für Wochenendverhältnisse schwingen Sarah und ich uns frühmorgens auf den Sattel und düsen los. Unser Ziel: Von Kiel nach Fehmarn und am nächsten Tag weiter nach Lübeck. Zweimal 111 Kilometer, aber bitte gemächlich. Der ein oder andere Kuchenstopp oder Abstecher ins Hinterland muss auf jeden Fall drin sein. Unser geplanter Abschnitt ist Teil des EuroVelo 10 und gehört zur Baltic Sea Cycle Route. Die führt durch die Länder Polen, Deutschland, Dänemark, Schweden, Finnland, Russland, Estland, Lettland und Litauen, immer an der Küste entlang. Bei – für norddeutsche Aprilwetterverhältnisse – extremer Hitzewelle geht es aus unserer Heimatstadt hinaus, den Förde-Wanderweg entlang bis nach Laboe. Wir folgen der Strandstraße, widerstehen, das Frühstück noch nicht ganz verdaut, dem Geruch der Fischbrötchen, die man hier alle naslang in kleinen Buden kaufen kann.

Als riesiger grauer Koloss mitten auf dem Strand zeichnet sich voraus das U-995 ab. Der Bauch des U-Boots, einst ein Geschenk der norwegischen Marine als Zeichen der Aussöhnung, kann heute besichtigt werden und veranschaulicht die beklemmenden Lebensbedingungen der Soldaten. Wir bleiben jedoch an der frischen Luft und radeln weiter Richtung Stein. Die Route führt direkt an der Abbruchkante der Steilküste entlang, vorbei an Rapsfeldern und geht schließlich in einen breiten asphaltierten Radweg hinterm Deich über. Linker Hand die hübschen Dünen, rechter Hand fliegen Kalifornien und Brasilien vorbei. Einer Legende nach haben die Strandabschnitte ihren exotischen Namen einem Fischer zu verdanken, der einst im Sand eine morsche Schiffsplanke mit der Aufschrift „California“ ausgrub und damit seine Hütte schmückte. Ein scheelsüchtiger Konkurrent bepinselte kurzerhand ein Scheit mit dem Wort „Brasilien“ und zierte seine Behausung. Die Fischer gingen, die Namen blieben.

Ob erfundene Geschichte oder nicht, innerhalb weniger Minuten schaffen wir es, beide „Länder“ zu besichtigen, Sonne und wolkenloser Himmel tragen ihr Übriges zum Feeling bei.

Große Augen, lange Wimpern und schwarz-weiß gemustert giert uns unser Gegenüber durch den Zaun nach Futter an. Was uns auf einer Koppel am Radweg gegenübersteht und verführerisch anblinzelt, ist keine typisch norddeutsche Milchkuh. Der Strauß verrenkt sich seinen meterlangen Hals, bittet um ein paar Krumen. Nach Nord- und Südamerika scheinen wir nun also Australien erreicht zu haben. Insta-Fans könnten ihre Follower hier ohne Probleme im Glauben an eine Weltreise lassen – #roundtheworld. Uns zieht die abwechslungsreiche Landschaft weiter, mit der der Radfernweg auffährt. Mal direkt am Wasser entlang, mal landeinwärts, mal übers Flachland, dann wieder über hügelige Steilküsten. Hin und wieder lohnt sich ein kleiner Abstecher zu einem der Güter, die im Hinterland liegen. Immer wieder begegnen wir dem Meer, bis sich der Ostseeküsten-Radweg trotz seines Namens bis kurz vor Hohwacht von der Ostsee verabschiedet. Während entlang der Hohwachter Bucht selbst teilweise 20 Meter hohe Steilküsten nach so viel Flachland schier in den Himmel ragen, ist das ehemalige Fischerdorf Hohwacht idyllisch ursprünglich und ohne Hochhäuser. Angeblich gibt es die Regel: kein Haus darf höher als die Bäume sein. Über Weissenhäuser Strand radeln wir nach Heiligenhafen vor der Insel Fehmarn und erreichen unser Etappenziel.

Am nächsten Tag geht es, mit Muskelkater in den Oberschenkeln, wieder auf den Sattel in Richtung Lübecker Bucht. Der Wind hat etwas aufgefrischt und lässt uns strampeln, die Sonne uns aber auch heute nicht im Stich. Eine Kombination aus Rad- und Gehweg – an vielen Stellen eher ein Pfad – führt direkt an der Küste entlang. An Dahme und Kellenhusen geht es vorbei nach Grömitz, eines der ältesten und größten Seebäder der Ostseeküste. Jetzt am Wochenende ist hier bei dem guten Wetter Trubel. Nach wenigen Minuten ist das Weiterfahren auf der Promenade sinnlos und wir schieben. 

Wie gestern geht die Route mal an der Küste lang, dann wieder übers platte Landesinnere. Immer wenn wir uns dem Wasser wieder nähern, kündigen es die Uferschwalben an, begleiten unseren Weg. Entlang der Strandpromenaden durchstreifen wir Haffkrug und Scharbeutz bis nach Timmendorfer Strand. Wem es die Zeit erlaubt, sollte unbedingt einen Abstecher in das Naturschutzgebiet Aalbeek-Niederung machen. Nach den kilometerlangen Stränden und der überfüllten Timmendorfer Strandpromenade bietet das sumpfige Gebiet, das mit Pfaden durchzogen ist, Abwechslung für Augen und Ohren.

Während man durch den fast urwaldähnlichen Landstrich mit abgestorbenen Bäumen, Bächen und Gräben streift, sind in der Ferne exotische Vögel zu hören, die aus dem angrenzenden Vogelpark schallen, in dem auch Flamingos und Papageien zu sehen sind – #weltenbummler.

In Niendorf machen wir Rast und holen uns unser wohlverdientes Fischbrötchen direkt vom Kutter, bevor es über das Brodtener Ufer gen Travemünde geht. Vorbei an Uferschwalben-Brutkolonien, teilweise durch Waldstücke mit Pfaden voll Wurzeln, immer mit Blick über die Lübecker Bucht. Wer Historisches erleben möchte, besucht hier die Passat oder den ältesten Leuchtturm Deutschlands. Wir schieben unsere Räder an der Vorderreihe entlang und genehmigen uns auf der Höhe des Priwallfähranlegers in der frühen Abendsonne ein abschließendes Eis. Wer müde Beine hat, kann mit der Bahn ab Travemünde Strand oder Travemünde Hafen nach Lübeck fahren. Etwas, worauf wir zurückkommen müssen, da der ein oder andere Abstecher und Eiscafébesuch unseren Zeitplan durcheinandergebracht hat. Unser Tacho ist ohnehin schon über die 111 Kilometer hinaus. Alle anderen können entlang des alten Treidelpfades der Trave nach Lübeck folgen.

Tipps:
Start: Der Weg von der Innenstadt aufs Kieler Ostufer ist kein besonderer Augenschmaus und zieht sich, bis man ans Wasser kommt. Wer sich den sparen will, kann mit der Fähre vom Kieler Bahnhof nach Mönkeberg fahren. Von dort aus startet der Förde-Wanderweg direkt am Ufer.

Unterkunft: Direkt zwischen Strandpromenade, Yachthafen und Binnensee hat 2016 in Heiligenhafen das Beach Motel eröffnet. Durch die direkte Strandlage haben fast alle Zimmer Wasserblick. Beach Motel Heiligenhafen, Seebrückenpromenade 3, 23774 Heiligenhafen, www.beachmotel-hhf.de

Sehenswertes: Die Straußenfarm Ostseeblick liegt direkt am Meer. Dort können die größten Vögel der Welt entlang des Wanderweges bestaunt werden. Circa 170 Strauße leben derzeit auf der Farm. Wer will, kann in den Stallungen einen Blick auf Eier und Küken werfen. Im Hofladen können Straußeneier und -fleisch gekauft werden. Straußenfarm Ostseeblick, Ostseering 11, 24257 Hohenfelde, www.straussenfarm-ostseeblick.de

Café: Hier backen und bedienen die Inhaberinnen noch selbst: Im Café Meerkieker kannst du hausgemachte Kuchen auf der Sonnenterrasse in rot-weiß gestreiften Strandkörben mit Blick auf die Ostsee genießen. Café Meerkieker, Am Kai 15, 23775 Großenbrode

Restaurant & Manufaktur: Wer einen kleinen Abstecher nach Lütjenburg in Kauf nimmt, bekommt Produkte aus artgerechter Tierhaltung und traditioneller Herstellung. Steak von der Holsteiner Färse oder knackfrische Salatvariationen mit Wildkräutern – im Bistro und in der Manufaktur Pur kannst du deinen Hunger stillen oder kulinarische Mitbringsel einpacken. Pur, Neuwerkstraße 9, 24321 Lütjenburg, www.einfachpurgeniessen.de

Text: Ina Krug
 Fotos: Sarah Lehmann