Technik: „Neoprengeflüster
“

Maximale Elastizität, hoher Tragekomfort, bestmögliche Isolierung gegen Wassereintritt und natürlich eine lange Lebensdauer: Die Wünsche beim Kauf eines Neoprenanzugs sind fast immer identisch. Während der Preis darüber hinaus gern im Fokus steht, werden den Nähten, ihrer Verarbeitung und Veredlung hingegen meist wenig Aufmerksamkeit geschenkt, obwohl sie nahezu alle Aspekte der Wunschliste unmittelbar beeinflussen. Neoprenexperte Kai Geffken über geklebte, blinde und einfache Nähte.



Ich will jetzt nicht schon wieder drei Wochen warten müssen, bis ich einen reparierten Neoprenanzug wiederbekomme, der dann auch womöglich wieder nur eine Woche hält. Entweder ich bekomme jetzt einen neuen Anzug oder ich will mein Geld zurück!“

Der Verkäufer hinter dem Tresen ist sichtlich genervt aber auch verunsichert, wie er der aufgebrachten Kundin begegnen soll. Schließlich kann er am wenigsten etwas dafür, dass der bereits reparierte Anzug wieder defekt ist. Aber nun das Geld erstatten, nur, weil sich ein paar Verklebungen gelöst haben?

„Wir müssen den Neoprenanzug zunächst zum Hersteller schicken. Dieser prüft den Schaden und gibt dann eine Rückmeldung. Ich kann das jetzt nicht entscheiden, denn wenn der Lieferant die Reklamation ablehnt, bleibe ich auf den Kosten sitzen!“ Mit dem Versprechen, sich für eine Beschleunigung des Ablaufs und einen Austausch einzusetzen, kann er die Kundin vorerst zufriedenstellen. Zurück bleibt ein Neoprenanzug, bei dem sich zum zweiten Mal Verklebungen gelöst haben. Die rechtliche Situation im Rahmen der Gewährleistung ist dabei relativ eindeutig geregelt. Laut BGB steht dem Kunden das Recht zu, entweder den Anspruch auf Nacherfüllung, das Rücktrittsrecht, die Minderung oder sogar den Anspruch auf Schadenersatz einzufordern. Die Nacherfüllung wird dabei als verhältnismäßige Regelung überwiegend angewandt, auch ein zweites Mal.

Der Verkäufer ruft nun also den Lieferanten an und schildert die Erlebnisse mit der verärgerten Kundin. Einige Mails mit entsprechenden Fotos des Neoprenanzugs später entscheidet der Lieferant auf Austausch aus Kulanz. Der Verkäufer ist glücklich, die Kundin ebenfalls. Doch meist gestaltet sich dieser Weg holpriger und für alle Beteiligten als ein echtes Ärgernis.

Der Volksmund sagt:

„Wer billig kauft, kauft zweimal.“

Auch wenn sich diese Redensart nicht grundsätzlich auf Neoprenanzüge anwenden lässt und besonders die Nutzungsart und –häufigkeit über den Verschleiß von Neoprenanzügen entscheiden, ist natürlich etwas dran, am Zusammenhang zwischen Preis und Verarbeitung. Bevor man also den nächstbesten Anzug von der Stange greift, sollte man sich überlegen, was die häufigsten Beschädigungen sind, die an Neoprenanzügen auftreten.

Dass Glatthautneopren durch den Kontakt mit spitzen Gegenständen oder Fingernägeln leicht Schaden nimmt, ist in den meisten Fällen kein Gewährleistungsargument und wird in der Regel schon im Shop als Eigenverschulden abgewimmelt. Verglichen mit doppelt kaschiertem Neopren, bei dem ein dünnes Jersey-Material außen auf das Neopren laminiert wird und so für eine robustere Oberfläche sorgt, ist Glatthautneopren deutlich empfindlicher.

Geht es also um das Argument der Haltbarkeit des Materials, wird ein doppelt kaschierter Anzug besser abschneiden. Da produktionsbedingte Materialfehler aber äußerst selten sind, gilt es die Aufmerksamkeit vielmehr auf die Bindeglieder des Anzugs zu richten, der aus zahlreichen Panels besteht. Gemeint sind damit die Nähte und deren Veredelungen, welche die meisten Kunden beim Kauf eher außer Acht lassen. Sie gelten als häufigste Schadensursachen, die bei Reklamationen angeführt werden. Unterschiedlichste Techniken und Nahtverfahren kommen bei den Herstellern zum Einsatz und tragen einen nicht unerheblichen Teil zur Preisgestaltung eines Neoprenanzugs bei.

Die einfachste Verbindung zwischen zwei Neoprenpanelen ist die Flatlock-Naht, wobei kein Kleber verwendet und die beiden Teile fest übereinander vernäht werden. Dieses Verfahren stellt zugleich die günstigste Variante dar, um einen Neoprenanzug herzustellen, und ist somit auch bei fast allen Anzügen im unteren Preissegment zu finden. Wer nun eine schlechtere Haltbarkeit vermutet, ist auf dem Holzweg. Diese Nähte sind sehr robust und langlebig, weshalb sie auch bei Anzügen für den Schulungseinsatz Verwendung finden. Nachteil: Flatlock-Nähte sind wasserdurchlässig.

Was beim Shorty durchaus Sinn hat und zugleich den Preis der Sommerpelle niedrig hält, ist bei Vertretern für die kalten Tage unangebracht. Wer möchte schon bei zehn Grad mit seinem 5/4er im Wasser stehen und langsam die Feuchtigkeit durch die Nähte kriechen spüren?

Das sogenannte GBS-Verfahren (Glued Blind Stiched) setzt auf von außen nicht sichtbare Nähte und eine zusätzliche Verklebung. Dabei werden die Ränder der zu verbindenden Neopren–Panels mit Kleber benetzt und unter hohem Druck zusammengepresst. Im Anschluss wird der Stoßbereich von innen so vernäht, dass die Nadel nicht durch die Außenseite des Neoprens stößt. Vorteil dieses Verfahrens: Die Naht ist absolut wasserdicht. Bei Anzügen mit GBS-Nähten könnte man also im Grunde fast von Trockenanzügen sprechen, wäre da nicht der Reißverschluss als potenzielle Wasserbrücke. Hinsichtlich der Wärmeisolierung ein echter Vorteil gegenüber der Flatlock-Naht, jedoch birgt diese Technik ein höheres Schadensrisiko. Bei starker Belastung und nur minimalen Produktionsungenauigkeiten kann sich die Verklebung partiell lösen. Die darunter angebrachte Naht ist nicht so robust, wie die Flatlock-Naht, wodurch es bei Nichtbeachtung auch zu einem kapitalen Schaden kommen kann.

Es lohnt sich also, beim Kauf die Nähte und ihre Beschaffenheit akribisch zu überprüfen. Sollte sich die Verklebung lösen (wie auf dem Bild ) empfiehlt sich der zeitnahe Gang zum Surfshop des Vertrauens, um größere Beschädigungen zu vermeiden. Der Produktionsaufwand beim GBS-Verfahren ist entsprechend höher als bei konventionellen Flatlock-Nähten, weshalb solche Anzüge auch teurer sind. Besonders bei Anzügen für die kälteren Tage im Jahr handelt es sich dann aber um eine mehr als lohnende Investition.

Auf dem nächsten Level der Verarbeitung werden die innenliegenden Nähte zusätzlich noch mit Tape abgeklebt. Damit kann die Naht nicht so leicht beschädigt werden, was die Langlebigkeit steigert, aber auch den Tragekomfort erhöht. Durch die mit Tape abgedeckten Nähte gibt es keine Nylon-Fäden, die auf der nackten Haut reiben könnten. Eine Form der Veredlung, die den Preis natürlich ebenfalls in die Höhe treibt. Im absoluten High-End-Bereich werden die Schnittstellen auch von außen zusätzlich abgedeckt.

ION nutzt dabei zum Beispiel die sogenannte Ultra-Slim-Seaming-Technologie. Dabei wird auf der Außenseite der Naht ein Streifen aus flüssigem Neopren aufgetragen, der die Haltbarkeit noch weiter erhöht.

Als Basis dient dabei immer das GBS-Verfahren. Erfüllt werden damit gleich drei Aspekte: Die Nähte sind absolut wasserdicht, Kältebrücken werden unterbunden und die Lebensdauer der Nähte steigt enorm. Natürlich hat auch dieser Zusatz bei der Ausstattung seinen Preis, da er den Produktionsaufwand erhöht. Erfahrungsgemäß sind aber genau diese Ferraris unter den Neoprenanzügen auch gleichzeitig die Modelle, die am seltensten mit defekten Nähten wieder im Shop landen. Die häufigsten Reklamationen beziehen sich auf Bereiche, in denen hohe Spannungsbelastungen auf die Nähte wirken. Zum Beispiel im Kniebereich. Dort finden sich gern ovale Pads, die mit einem der beschriebenen Nahtverfahren mit dem Anzug verbunden werden. Gerade geklebte Verbindungen geben in solchen Bereichen mit der Zeit etwas nach. Doch welche Naht ist nun die beste oder am besten geeignet? Diese Frage lässt sich pauschal nicht beantworten. Bei Sommeranzügen hat die Flatlock-Naht aufgrund des robusten Charakters und geringerer Kosten klare Vorteile zu bieten. Anzüge für Frühjahr, Herbst und Winter sollten dagegen GBS-Nähte besitzen und im besten Fall von innen mit Tape und von außen mit flüssigem Neoprenkleber veredelt sein. Wer seinen Anzug sachgemäß nutzt und entsprechend pflegt, wird bei beiden Nahtvarianten in der Regel lange Freude und wenig Ärger mit seinem Produkt haben. Trotzdem ist und bleibt die Naht der größte Schwachpunkt eines Neoprenanzugs. Man sollte daher also nicht nur auf eine ordentliche und hochwertige Nahtverarbeitung, sondern im besten Fall auch auf möglichst wenige Nähte achten. Neben der Haltbarkeit besitzen Nähte nämlich noch einen weiteren Schwachpunkt und zwar die Flexibilität. Sie unterbrechen den Stretch der Neopren-Panels, ob günstige oder hochwertigste Nahtvariante.

Ein guter – meist dann aber auch entsprechend teurer – Anzug besteht aus wenigen Neopren-Panels und besitzt nur die nötigsten Nähte.