Rio de Contas
Mario Stecher ist 2015 erster Deutscher Technischer Wildwasser Meister im SUP, hat Solo-Erstumpaddlungen des Bodensees, Plattensees und von Koh Phangan hinter sich. Und überrascht sich selbst mit einem Wildwasser-SUP-Abenteuer in Bahia, Brasilien.
Die besten Ideen reifen meist in einer Schaffenspause. So auch die der Befahrung des Rio de Contas in Brasilien. Bahia, besser bekannt als das Zentrum des weltweiten Kakaohandels bis Ende der 1990er-Jahre, hat weit mehr zu bieten als nur Plantagen und Regenwald. Die Region um das kleine Fischerdörfchen Itacaré genießt unter Wellenreitern einen exzellenten Ruf für seine ganzjährig konstanten Bedingungen. Dies war auch für mich ausschlaggebend, unseren diesjährigen Familien-SUP-Surfurlaub dort zu verbringen. Als sich nach zwei Wochen Nonstop-Wellenreiten mein Körper nach etwas Auszeit sehnt, komme ich diesem Wunsch nach und pausiere ein paar Tage, um zu regenerieren. Als ich jedoch höre, dass ein Raftingunternehmen vor Ort unter deutscher Leitung steht, gibt es für mich, der kein Wort Spanisch, geschweige denn Portugiesisch kann, kein Halten mehr. Ich kontaktiere umgehend den Chef, Otto Hassler, via Whats-App-Sprachnachricht und informiere mich über die Möglichkeit einer Befahrung des Rio de Contas mit einem SUP. Natürlich will ich nichts dem Zufall überlassen und organisiere gemeinsam mit Otto einen Fotografen, ein Shuttle, Leihmaterial bestehend aus Schwimmweste, Helm, Paddel und ein ziemlich in die Jahre gekommenes Touring-iSUP sowie einen Safety Guide, der mich bei Bedarf mit dem Wurfsack retten sollte.
Da Otto schon seit 1994 sein Raftingunternehmen dort betreibt und durch die Tatsache, dass River-SUP in Brasilien noch keine Breitensportart ist, konnte ich seiner Aussage „bisher ist noch niemand mit dem SUP dort runter“ vertrauen. Ich fühl mich regelrecht geschmeichelt, dass ich nun die Ehre habe, der Erste zu sein, der sich am rund zwei Kilometer lohnenswerten Teilabschnitt des Rio de Contas mit dem SUP versuchen darf.
Am frühen Morgen geht es los. Mein Shuttle ist pünktlich, wie bestellt, am Eingang unseres Hotels. Eine lebensfrohe Mittvierzigerin namens Vicky steht strahlend und scheinbar aufgeregter als ich selbst vor der Rezeption. Ihr Auto, ein VW-Bulli mit dem liebevollen Namen Tetéia ist startklar, um mich bis zum Ativa Rafting Base Camp in dem nahe gelegenen Dorf Taboquinhas, 18 Kilometer westlich von Itacaré entfernt, zu befördern. Dort angekommen werde ich der Crew vorgestellt, die mich auf meinem Weg begleiten soll. Mein Safety Guide Leque spricht leider nur Portugiesisch. Deshalb einigen wir uns während der Anwesenheit meiner Fahrerin Vicky, die für uns die sprachliche Brücke ist, auf Handzeichen, um Missverständnisse zu vermeiden. Alle Fragen sowie den gesamten Ablauf gehen wir vorab durch. Die Nervosität steigt so langsam, aber sicher ins Unermessliche. Als wir dann endlich gemeinsam das Brett und ein Kajak durch den Dschungel zum Fluss tragen, kann ich es vor Hitze kaum erwarten, das kühle Nass zu erreichen. Aber anstelle der erhofften Abkühlung erwartet mich eine ungewöhnlich warme Brühe, wie ich sie von Deutschlands Flüssen nicht kenne. Die ersten Meter auf dem Brett sind recht frustrierend.
Das Leihbrett ist so alt und wackelig, dass ich ernsthaft bezweifle, auch nur einen Fluss der Klasse 2 damit befahren zu können. „Hilft nichts, da musst du durch“, sag ich zu mir selbst. „Diese Chance gibt es nicht oft in deinem Leben!“
Die erste Schlüsselstelle trägt den Namen Funil, eine Wildwasser-passage der Klasse 4, bei der die Hälfte des Flusses auf eine unglaubliche Prallwand zufließt. Dadurch produziert sie im vorderen Bereich eine angsteinflößende Walze, bei deren Anblick ich schlagartig das gesamte Vorhaben infrage stelle. Die andere Seite ist ebenfalls nicht einfach zu durchfahren, da sie eine auf die Walze schräg zulaufende Felsrippe beinhaltet. Da ich weder mein gewohntes Material habe, noch den Fluss und seine Tücken kenne und zudem eine derartig harte Schlüsselstelle noch nie zuvor auf meinen Flusstouren gesehen habe, entscheide ich mich, die Stelle zu umtragen. Auch im Nachhinein bereue ich diesen Entschluss keineswegs und bin sogar stolz darauf, nicht zu viel riskiert zu haben! Nach einem kurzen, jedoch wesentlich gemütlicheren Abschnitt bin ich dann auch halbwegs eingefahren und habe mehr Vertrauen in mich und mein ausgeliehenes Brett. Ich bin bereit für Corredor Polones, die zweite Schlüsselstelle mit Wildwasserklasse 3,5. Nach einem kurzen Drop von ungefähr 1,60 Meter folgt auf rund 50 Metern wuchtiges Wildwasser, das regelrecht zu kochen scheint. Schwierig zu fahren, aber dennoch machbar! Der erste Versuch im Indian Stance misslingt. Der zweite Versuch im Stehen ist wesentlich besser und beim dritten Versuch schaffe ich die Passage.
Ich bin beeindruckt von der Menge des Wassers, das der Fluss führt. Und fühle mich regelrecht als „Rinnsalrutscher“, der eine solche Menge an Wasser von seinen heimischen Gebirgsbächen nicht gewohnt ist. Otto Hassler, der Chef der Raftingstation, hatte sogar Bedenken, da der Wasserstand ungewöhnlich niedrig war. Nur schwer kann ich mir vorstellen, welche Gefahren und Schwierigkeiten dieser Fluss bei einem höheren Pegel aufweist.
Weiter geht es durch eine Klamm ohne nennenswerte Schwierigkeiten. An deren Ende nutze ich eine schöne Klippe namens Pedra do Pulo zur kurzen Trinkpause und einem Sprung aus circa zehn Metern Höhe. Im weiteren Verlauf ist der Fluss ruhig – bis zur Stelle Surpresa. Durch einen Gewässerabfall von ungefähr einem Meter formiert sich dezentes Wuchtwasser mit mehreren schönen Wellen. Vorbei an einigen, wenigen Einheimischen, die zum Waschen ihrer Wäsche am Fluss sind, und deren Kinder im ruhigen Gewässerabschnitt plantschen, geht es zur letzten markanten Schlüsselstelle des Rio de Contas. Sie hört auf den Namen Pé da Pancada und ist ein mannshoher Drop, bei dem sich das gesamte Wasser des Flusses durch eine drei Meter breite Verengung drückt. Die gesamte Energie scheint sich dort zu bündeln und trifft mit voller Wucht auf das ruhig stehende Becken im unteren Bereich. Diese Wucht ist zutiefst respekteinflößend. Ich brauche einige Zeit, um meine Gedanken zu ordnen. Der erste Versuch geht in die Hose, als ich nach dem Drop mit der Nose eintauche und stürze. Die folgenden zwei Versuche sind jedoch ein voller Erfolg, da mir die Angst nach dem ersten Sturz genommen ist und ich mich nun 100-prozentig auf die Stelle einlassen kann.
Ein triumphierendes Gefühl macht sich in mir breit. Ich habe es geschafft! Und bin der erste Stand-up-Paddler, der sein Glück am Rio de Contas versucht hat und einige Schlüsselstellen meistern konnte. Ein Wave-SUP-Urlaub mit unerwartetem Abenteuer. Zitate: Anstelle der erhofften Abkühlung erwartet mich eine ungewöhnlich warme Brühe. Eine angsteinflößende Walze, bei deren Anblick ich schlagartig das gesamte Vorhaben infrage stelle. Tourinfo Fluss: Rio de Contas; Länge des befahrenen Abschnitts: circa zwei Kilometer
Ansprechpartner: Ativa Rafting Adventures, Costa do Cacau, Bahia, Taboquinhas, Brasilien
Leitung: Otto Hassler, www.ativarafting.com.br
Flugverbindung: Ab diversen europäischen Großstädten über Madrid/Spanien nach Salvador/Brasilien und dann via Inlandflug von Salvador nach Itacaré (Boards bis 2,50 Meter werden transportiert.)
SUP-Stationen/-Verleih: Itacare Soul SUP Center; Rua Praia da Concha 94, Itacaré aloha@itacaresoulsup.com Oder direkt über Ativa Rafting Adventures
Weitere Infos: www.stechertwins.com
Text und Fotos: Mario Stecher