Tauchende 
Paddel und Fliegende Tore

Die Fusion zwischen Kajakfahren, Wasserball und Handball fristet ein Schattendasein. Zu Unrecht, wie unser Autor zuschauend meint. Kanupolo ist auf vielen urbanen Wasserflächen umsetzbar, erste Techniken hat man schnell drauf. Ab in die Fluten!

Meine Füße baumeln ins Leere. Ich genieße das sich immer wiederholende Geräusch der seichten Wellen, die unter mir an der Kaimauer zerschellen. Ich lege den Kopf in den Nacken und atme ein. Ich schmecke Salz. Hier und da zerschneidet ein Schrei über mir die gemütliche Feierabendstimmung, aber für einen echten Kieler ist das Kreischen einer Möwe wie das Blöken einer Bergziege für den Südtiroler. Das ist Heimat und hat nichts mit Krach zu tun. Ich sitze an der Kiellinie, um genauer zu sein: an ihrem Beginn. Um noch genauer zu sein: auf den 106 Metern zwischen den Abschnitten B3 und B5. Einer meiner Lieblingsfleckchen in Kiel. Die Promenade direkt an der Förde ist nicht nur Anziehungspunkt schlendernder Touristen, kaffeetrinkender Kieler oder konditionssüchtiger Jogger. Sie ist auch Heimat einer sehr coolen und besonderen Sportart. Dem Kanupolo.

Ich taste nach meinem Rucksack und greife mir ein kaltes Bier, öffne es lässig mit einem Feuerzeug und lasse meinen Blick über die Förde schweifen. Etwa 500 Meter rechts von mir liegt die „MSC Opera“ und circa 300 Meter vor mir schippert gerade die –„Color Fantasy“ in Richtung Oslo. Die vielen Menschen an Deck winken und der riesige schwimmende Stahl-Leviathan pustet, begleitet von lautem Getöse, Rauch aus seinen mächtigen Schornsteinen. Ich winke zurück. Ein herrliches Plätzchen. Platsch! Ich löse meinen Blick von dem Kreuzfahrtschiff und suche nach der Ursache dieses störenden Geräusches.

Vom Steg zu meiner Linken werden mehrere Kanus zu Wasser gelassen. Zwischen den auf dem Wasser treibenden Ein-Mann-Karbontorpedos befindet sich ebenfalls eine Person mit langen Haaren im kühlen Nass. Die blonde Schönheit dreht sich um und paddelt zu mir herüber. Ich nehme erneut einen Schluck Bier und grinse.

„Irgendwann musst du hier mal mitmachen und nicht immer nur an der Kaimauer sitzen und Bier trinken“, werde ich aus der Förde heraus auffordernd angesprochen. „Vergiss es, Heiko! Ich bin der perfekte Zuschauer“, antworte ich meinem Mitbewohner.

„Ich kann gut klugscheißen, sehe toll aus beim Nichtstun und außerdem kann ich nicht schwimmen.“
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Heiko lacht. „Stimmt, der echte Vorzeige-Kanupolospieler bist du nicht gerade“, sagt mein Zimmernachbar schmunzelnd und spritzt eine Ladung Fördewasser zu mir hoch. Heiko spielt bereits seit einer Weile Kanupolo in Kiel.

Die Leidenschaft für das Wasser und die Dynamik dieses Sports haben ihn dazu gebracht. Die Jungs und Mädels der KVK (Kanu-Vereinigung Kiel) klettern in ihre Kanus, schließen die Spritzdecken und bauen die eineinhalb Meter über der Wasseroberfläche hängenden Tore auf. Nach einem kurzen Warmmachprogramm -fangen die paddelbewaffneten Fördegladiatoren zu spielen an.

Mittlerweile gehört mir der Titel des Zuschauers nicht mehr allein. Der eine oder andere Spaziergänger, Jogger oder Seehundbeckenbesucher hat es sich ebenfalls auf den Bänken oder dem Beton der Kaimauer bequem gemacht und schaut dem wilden Treiben auf dem Wasser zu. Ein älteres Ehepaar neben mir ist dabei, wild zu diskutieren. „Nein, ich glaube, das war Abseits. Obwohl, wer spielt denn eigentlich mit wem?“, fragt die Omi mit dem Strickhut ihren Begleiter. „Woher soll ich das wissen? Ich glaub’, die spielen alle allein“, antwortet der Begleiter mit der Prinz-Heinrich-Mütze achselzuckend. Ich räuspere mich. „Wenn Sie mögen, erkläre ich Ihnen kurz mal, wie das Spiel funktioniert“, biete ich mich als fachkundigen Schlaumeier an. „Oh, das wäre ja herzallerliebst, junger Mann“, freut sich der Strickhut. „Also, gespielt wird fünf gegen fünf. Ziel ist es, den Ball in die hängenden Tore zu werfen wie beim Handball. Nur dass das Tor hier in der Luft hängt und anstatt auf Hallenboden auf dem Wasser gespielt wird“, beginne ich. „Die Schwierigkeit dabei besteht darin, dass die Gegner den Wurf mit ihrem Paddel blocken dürfen und …“ „Gibt es auch so was wie Fouls?“, werde ich von der Prinz-Heinrich-Mütze unterbrochen. „Aber sicher. Es darf zum Beispiel niemand außer dem ballführenden Spieler versenkt werden“, antworte ich. „Jawohl“, freut sich die Prinz-Heinrich-Mütze, „das mit dem Versenken ist ganz nach meinem Geschmack.“

Jetzt, da ich mein Insiderwissen weitergegeben habe, widme ich mich wieder dem Spiel. Es ist schnell und dem Anschein nach sehr kraftraubend, da Heiko schon stark am Schnaufen ist und erneut einen Fehlpass fabriziert hat. Ich klatsche und schreie laut:

„Wenn du deinem Team wirklich helfen willst, dann mach es wie die ‚Titanic‘ und geh unter!“
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Das Gelächter der Umstehenden und der in die Höhe gereckte Stinkefinger meines Mitbewohners zeigen mir, dass der Spruch gut angekommen ist.

Die KVK spielt bereits seit 1970 Kanupolo. „Kiel hat gute Leute“, sagt Heiko einige Zeit später, während er sich neben mich setzt. Das Training ist vorbei. Sein Kanu liegt noch auf dem Steg und tropft ein bisschen aus. Er pustet tief durch, sein nasses Haar hängt ihm in Strähnen auf die Schultern herunter. „Dich kannst du ja wohl nicht meinen“, sage ich lächelnd. „Hier spielten zum Beispiel schon eine Deutsche Meisterin und ein U21-Weltmeister“, gibt er stolz von sich.

„Bist du nicht sogar norwegischer Meister im Kanupolo?“, frage ich ihn. Er nimmt mir das Bier aus der Hand und trinkt. „Ja, bin ich, aber hier bin ich trotzdem nur Wasserträger“, antwortet er nachdenklich. „Mhhh, das spricht entweder für die hohe Qualitätsdichte der KVK oder gegen die Bereitschaft der Norweger, Kanupolo zu spielen“, sagt er. Ich verkneife mir eine Antwort und öffne noch ein Bier. Die Schatten werden länger und die immer tiefer sinkende Sonne taucht die Förde in einen flammenden Schein aus orangefarbenem Licht. Der Wind frischt leicht auf und am anderen Ufer zeichnen sich die Silhouetten der Portalkräne der ehemaligen Howaldtswerke-Deutsche Werft gegen den brennenden Himmel ab. Wir lassen unsere Flaschen aneinander klingen und beglückwünschen uns mit einem synchronen „Prost!“. Ich lehne mich zurück. „Ist geil hier!“, sage ich zufrieden. Das leichte Nicken neben mir zeigt, dass ich diese Meinung nicht exklusiv bestellt habe.