Tamokdalen

Kaum Licht, viel Schnee und eine ungewöhnliche Location: Norrøna-Ambassadors Christine Hargin, Andreas Wiig, Nikolai Schirmer und Tobi Tritscher biegen an der größten Kreuzung Nordnorwegens in ein Tal ab, das voller Geschichten steckt.

Schon mal die Redewendung „Für die Welt bist du irgend-jemand, aber für irgendjemanden bist du die Welt“ gehört? Das Gleiche gilt für Orte. Seltene Juwelen findet man nicht aneinandergereiht an einer Kette. Sie liegen meist weit verteilt in unbekannten Gegenden, in die nur wenige Menschen jemals einen Fuß gesetzt haben. Nach diesen Perlen Ausschau zu halten ist nicht immer so leicht, wie es auf den ersten Blick aussieht. Geduld ist entscheidend und bereits der erste Schritt zeigt, ob man sich im fremdartigen Terrain anpassen kann. Sich die nötige Zeit zu nehmen, nach diesen seltenen Perlen zu suchen, ist nach Jørgen Jørgensen, CEO von Norrøna, kein Geheimnis: „Es dreht sich alles darum, etwas Neues zu erschaffen, nach unberührtem Terrain zu suchen, welches wir formen können. Die Orte müssen den Aktivitäten entsprechen, auf denen das Konzept aufgebaut ist. In erster Linie jedoch suchen wir nach der Seele dieser Orte, wie beim Tiefschnee-Freeriding-Konzept tamok“, sagt er. Mit diesen Worten im Sinn ist es an der Zeit, dieser romantischen Beschreibung ein Ende zu setzen und aufzubrechen. Vier Ambassadors von Norrøna und zwei verrückte Fotografen in ein Auto gesteckt und vom Flughafen Tromsø ins Tal von Tamok gefahren. Los gehts. Wenn man in Nordkjosbotn ankommt, parkt man sein Auto, ruft den örtlichen Fremdenführer und genießt einen schwarzen Kaffee – während der Wartezeit für das Rentiertaxi. Welches natürlich im Voraus gebucht wurde. Dann streicht man den vorherigen Satz dick durch und lernt die erste nordnorwegische Lektion: Geschichten im Norden dürfen nicht ganz für bare Münze genommen werden.

Von Nordkjosbotn aus ist es wichtig, darauf zu achten, in die richtige Richtung abzubiegen. Man darf sich nicht davon beunruhigen lassen, dass dies die größte Kreuzung im ganzen Norden Norwegens ist. Eigentlich gibt es nur drei Richtungen, zwischen denen man sich entscheiden muss. Und wenn man die Richtung, aus der man kommt, nicht mitzählt, sind es sogar nur noch zwei Optionen. Falls man davon ausgeht, dass ein großes Schild die Richtung ins Tal von Tamok ausweist, liegt man falsch. Ist man kein Einheimischer, macht sich ein GPS bezahlt. Wenn man endlich ankommt, kann man sicher sein, nichts zu sehen. Denn es ist stockduster.

Die Wände des Wohnzimmers im Olsrud Adventure sind in Kiefernholz verkleidet und die Stimmung ist gut. Fotograf Sandbech und Botschafter Wiig haben gerade die neuesten Animationseffekte auf Snapchat entdeckt und inmitten von Gelächter trifft der Chef persönlich ein. Sein Kopf wird von einer enormen Pelzmütze gewärmt und sein Oberkörper ist in GORE-TEX gekleidet, während sein Lendenschurz lediglich aus einem weniger wasserabweisendem Material, einem Handtuch, besteht. Seine Wangen leuchten nach einem wohltuenden Aufenthalt in der Sauna, welche sich die Straße etwas weiter runter befindet. Er ist unser Guide vor Ort und sein Name ist Aadne. Aadne ist einer der 5.720 Einwohner der Gemeinde Balsfjord, in der das Tal liegt. Er ist ein vielbeschäftigter Unternehmer, jedoch kann man sicher sein, dass jedes seiner Projekte mit Tamok zu tun hat. „Es dreht sich alles um Ressourcen: Unsere sind lange Winter, viel Schnee und große Berge.“ Zusammen mit der alten Snowboardlegende Jarkko Henttonen investierte Aadne unmessbar viel Zeit, um Tamok bekannt zu machen. Die Durchführung etlicher Freeride-Wettbewerbe trägt langsam Früchte und ein Ski-Lift ist das Ziel eines Zwei-Jahres-Plans.

„Menschen in Tamok stehen Veränderungen zu 99,9 Prozent offen gegenüber, solange man sein Auto nicht an der falschen Stelle parkt“
sagt Aadne und lacht

Es ist früh am Morgen und ein bläuliches schwaches Licht macht sich über dem Tal breit. Endlich lässt sich ein Umriss von dem, was das Tal zu bieten hat, erkennen. Auf den ersten Blick scheint es, als hätten Birken die Gegend eingenommen, was im Übrigen stimmt, aber schaut man genauer hin, sieht man, was sich dahinter verbirgt. Hier liegt der Spielplatz, eine Fülle an Pillows, Schluchten, Felsen, die Sprungchancen bieten. Und das alles, bevor man das Potenzial über den Baumkronen erkennt. Das Einzige, was zwischen einem selbst und der Szenerie steht, ist die eigene Kreativität, auch wenn die Zeit begrenzt ist. Obwohl wir für die Dunkelheit gekommen sind, müssen die richtigen Locations gefunden werden, bevor das Licht erlischt. „Hat jeder an seine Stirnlampen gedacht?“, fragt Fotograf Holter. Wiig hat seine vergessen und wir drehen um.

Die Dunkelheit umhüllt uns langsam, genauso wie die Kälte. Aber im Norden kann man sich darüber nicht wirklich beschweren. Keiner der Fahrer kennt es, im Dunkeln zu freeriden. „Ich habe keine Angst vor der Dunkelheit“, sagt Tritscher zögernd.

„Ich hörte etwas über Wölfe, aber nein, ich habe keine Angst vor der Dunkelheit.“
Tobi Tritscher

Hargin verneint ebenfalls, Angst zu haben: „Die Herausforderung im Dunkeln zu fahren liegt darin, dass man nur die Dinge sieht, die direkt vor einem liegen. Man weiß nie sicher, was kommt.“

Es ist Neumond und wir sehen den Ambassadors dabei zu, wie sie den Hang heraufwandern, während wir darauf warten, ihre Abfahrt zu filmen. Sich danach zu sehnen, dass die Polarnächte im Norden vorbei sind, ist vergleichbar mit der Zeit, die verschwendet wurde, Aufnahmen wie diese zu machen. Jedoch haben jahrelange Erfahrungen den Fotografen Holter und Sandbech einige Tricks beigebracht, wie sie während längerer Wartezeiten warm und bei Laune bleiben. In ihrem Repertoire: gegenseitiges Bekriegen, zahllose gescheiterte Saltoversuche, Liegestütze und Sprints, bei denen sie eigentlich nur vor und zurück rennen. Plötzlich erscheinen Tritscher, Wiig und Hargin an der Kante des Hangs. In diesem Moment präsentiert sich uns Tamok von einer völlig neuen Seite. Der Mond steht so tief, dass die Ambassadors, kurz bevor sie die Spitze des Hügels erreichen, förmlich danach greifen können.

„Eins, zwei, drei, Abfahrt!“ Andreas’ Stimme ist durch das Walkie-Talkie etwas verzerrt. Es fühlt sich an, als wären wir in einem „Star Wars“-Film, als drei Lichtbälle (alias Stirnlampen) durch die Bäume herunterschießen.

Pulverschnee fliegt durch die Luft wie Konfetti, geschmeidige Kurven hinterlassen tiefe Spuren im Schnee und gerade als wir denken, alles sei vorbei, hören wir einen dumpfen Knall – klingt nach dem Zusammenstoß mit einem Baum. Aus dem Dunkeln kommt ein benebelter Nikolai Schirmer auf uns zu, doch der Norrøna-Ambassador und Kameramann beruhigt uns:

„Alles gut, das Einzige, was verletzt ist, ist mein Stolz.“
Nikolai Schirmer

Und so kehren wir mit unseren kalten Füßen nach einem erfolgreichen Tag im Tal, das alle seine Versprechen für epische Freeride-Bedingungen eingehalten hat, zurück in unser kiefernverkleidetes Wohnzimmer.

„30 Minuten bis Abfahrt“, ruft Fotograf Holter. Eine Spur militärischer Führungsqualitäten ist nicht verkehrt, wenn Schneeliebhaber einen schneebedeckten Ort verlassen. Schirmer und Tritscher sind noch immer draußen für ein paar letzte Aufnahmen, während Hargin versucht, Yoga und Packen zur selben Zeit zu kombinieren.

Sandbech hält eine Auswahl von verschiedenem Fotoequipment in seinen Händen, ein typisch norwegischer Snack steckt in seinem Mund: Stockfisch! Der Geruch von Stockfisch (gesalzene und getrocknete Forelle) verursacht ausgesprochen unterschiedliche Reaktionen in der Gruppe. Glücklicherweise hat Wiig es sich zur Aufgabe gemacht, den lokalen Kauderwelsch, der hauptsächlich aus Schimpfworten besteht, zu lernen. Dann, gerade nachdem wir alle ein paar Kostproben dieses Vokabulars stolz ins Tal rufen, zeigt sich die Sonne. Der Moment markiert die langersehnte Rückkehr des Sonnenlichts ins Tal von Tamok in diesem Jahr. Wärme strömt durch unsere Körper, während wir unsere Plätze im Auto einnehmen. Weil wir alle in genau diesem Moment wissen: Es wird nicht lange dauern, bis wir uns wiedersehen.